Freitag, 20. Juli 2012

#2



Ich kann mich noch genau an ihn erinnern, an meinen ersten Schultag des letzten Jahres.
Eigentlich müsste ich die ersten Schultage hassen, denn mir fallen nur Gründe dafür ein. Sollte ich auch nur ein was positives für den ersten Schultag nennen würde mir nichts einfallen. Rein gar nichts.
Logisch wäre es sie zu hassen. Ich liebe sie, obwohl ich sie hasse.
Ich meine, zum einen fängt die Schule wieder an. Stress, Lärm, Unruhe.
Dann sehe ich meine Klasse wieder. Es ist nicht so, dass ich eine schlechte Klasse hab. Es ist nicht so, dass ich eine schlechte Klasse hatte.
Fakt ist aber nun einmal, dass Emma gestorben ist. Dass sie sinnloser Weise gestorben ist. Dass sie wegen uns gestorben ist. Und dass sie meine beste Freundin war, wenn es nach meiner Empfindung gegangen wäre.
Jedes Jahr am ersten Schultag schwärmen sie alle von ihren Urlaub. Und jeder versucht sich zu übertrumpfen.
Das schlimmste allerdings sind die guten Vorsätze, die wie heiße Luft durch die Flure der Schule schweben.
Ich weiß noch genau Emma's Vorsatz. Er klang wie ein paar Zeilen aus einem dieser Songtexte, die du hörst und die sofort zu deinem Leben passen. Die unter die Haut gehen. In welcher Form auch immer.
Es reicht die Augen zu schließen und ich höre Emma sagen: "Ich will dieses Jahr einfach nur nicht das Gefühl haben, dass ich etwas hätte besser machen können. Ich will bereit sein, dass Jahr gehen zu lassen und nicht das Gefühl zu haben, mich noch beweisen zu müssen. Ich will frei sein."
Inzwischen weiß ich, was sie damals mit diesem frei sein meinte.
Ich erinnere mich, als wäre es gestern, als ich die Straße entlang zur Bushaltestelle ging.
"Amelie, Amelie!", schrie Emma, während sie von hinten auf mich zu gerannt kam. Sie sah so klein und zierlich aus, dabei wissen wir alle ganz genau, dass Emma mächtig was drauf hat. Drauf hatte.
"Emma." Sie fiel mir in die Arme und ich konnte ihr Shampoo riechen. Es roch nach Friseur.
Danach roch ihr weizenfarbenes Haar immer. Ihre sonst so blasse Haut war braun geworden und ich wettete, dass sie überall braun geworden war.
Sie sah so gut aus, wie immer. Nur ein was störte mich. Ihr Kleid.
"Emma, meinst du nicht das ist etwas kurz?" Ich zeigte auf das aufgerüschte, weinrote, ultrakurzes Kleid.
"Quatsch, Schätzchen. Wo ist es denn zu kurz." Überall - Das hätte ich sagen sollen, aber ich zuckte nur die Schultern. Damals hab ich nicht weiter gefragt. Sie schien sich in dem Kleid wohlzufühlen und ich vermutete kaum, dass einer den Mut haben würde sie dumm zu machen.
Im Bus erzählte sie freudestrahlend von ihren Ferien. Sie sah so glücklich aus. die türkis-blauen Augen funkelten während sie redete und sie strahlte über ihr ganzes Gesicht.
Ihr letzter Satz bevor wir ausstiegen endete mit den Worten: "...und deswegen gebe ich dieses Wochenende eine Party."
"Wer kommt denn alles?"
"Na, jeder der will!"
 "Und deine Eltern!?"
"Mein Dad hat's mir erlaubt. Wir bekommen die große Villa im Wald für die Party zur Verfügung gestellt. Du weißt schon, die mit Pool und den 7 Schlafzimmern." Sie zwingerte mir zu.
Seit Emma's Eltern bekannt gegeben hatten sich scheiden zu lassen stritten sie sich um ihre Tochter, als wäre sie die letzte Wasserflasche in der Wüste. Das nutze Emma vorallem bei ihrem Vater aus, irgend so ein ganz hohes Tier. Emma bekam echt alles. Aber das mit der Villa, das übertraf echt alles.
"7 Schlafzimmer!?"
"Und eins ist nur für mich.", schallte ihr Lachen durch die gesamte Schule.

 Bildquelle: http://www.tally-weijl.com/collection/products/show/articles/article/14187.html

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