Freitag, 31. August 2012

#7

In der Ahorn-Allee begann es zu regnen. Anfangs war es nur dieser feine Sprühregen, doch er wurde stärker.
Unweigerlich musste ich mich an die vielen Buch- und Filmzitate erinnern.
Daran, wie Regen immer an etwas sanftes beschrieben wurde. Etwas trauriges. Als ob Gott weinen würde oder sowas. Doch besonders ein Zitat ging mir nicht aus den Kopf. Mit aller Gewalt hielt es sich in meinen Gedanken und schrie, obwohl die Stimme die mir die Stelle aus dem Buch zitierte nur wisperte:
"Es fiel Regen in jener Nacht, ein feiner, wispernder Regen. Noch viele Jahre später musste Meggie bloß die Augen schließen und schon hörte sie ihn, wie winzige Finger, die gegen die Scheibe klopften."
Es war aus Tintenherz und damals hatte ich als Kind oft dieses Buch mit Elena gelesen. Wir waren in der dritten Klasse und hatten bei genau solchen Regen uns immer vorgelesen.
Aber heute war es ein anderer Regen. Er hatte nichts mehr von diesem unschuldigen, reinigenden, winzigen Fingern, die über die Wunden der Menschen fuhren, sanft und heilend. Er peitschte mir ins Gesicht, voller Zorn. Kalt schlug er mich auf die Hände, die ich mir schützend vors Gesicht hielt.
"Ein feiner, wispernder Regen."
"Sei leise.", flüsterte ich. Es war eine Art Gebet, auch, wenn ich mir über die Sinnlosigkeit bewusst war.
Da war kein Gott, der mich erhören würde.
Da war kein Mensch, der mich erhören würde.
Da gab es nur zwei Sachen.
Diese Gedanken, die unaufhörlich wie ein Wasserfall in meinem Kopf herumspuckten.
Und die Gewissheit, dass sie nicht mehr wiederkommen würde.
Nie wieder lachen,
nie wieder weinen würde.
Nie wieder.
Nie wieder würde sie etwas tun, außer vor sich hin zerfaulen.
Sie war tot.

Montag, 6. August 2012

#6



Der zweite Schultag war wider jeder Erwartung wunderbar.
Eigentlich hatte ich vorgehabt Emma zu fragen, was das mit Elena sollte, doch an diesen Tag gab sie mir dieses unglaubliche Gefühl von Freiheit, Freundschaft und Vertrauen.
Sie stand wartend vor meinen Haus und war ein völlig anderer Mensch im Vergleich zu gestern. Denn heute trug sie eine schwarze Lederjacke, helle Hotpants und ein rotes Top. Okay, es war immer noch sehr... wenig was sie da am Körper trug, aber definitiv besser als den Tag zuvor.
"Emma." Ich lächelte sie in an, denn mir wurde bewusst, wie lieb ich sie eigentlich hatte. Emma wohnte näher an der Bushaltestelle, aber wartete fast immer an meinen Haus auf mich, damit ich nicht allein laufen musste. Sie merkte sich ganz genau was ich sagte und hatte deswegen immer die besten Geschenkidee und auch insgesamt hatte sie immer die beste Lösung. Sie war wie ein kleiner Engel.
Und Elena. Na ja. Sie kannte mich ziemlich gut. Ich hatte ihr immer alles erzählt und sie mir auch, aber sie merkte sich nicht alles. Hatte nicht immer eine Lösung.
Und als Emma da so vor meinen Haus wartete fasste ich einen Beschluss. Es war die Angelegenheit zwischen den beiden und nicht zwischen mir und den beiden. So fragte ich sie nicht.
"Hey.", sie lächelte zurück.
"Lass dein Schulzeug hier."
"Was?"
"Emma hat Papa wieder schöne Augen gemacht." Wenn Emma sagte, sie hätte ihren Papa schöne Augen gemacht hieß das nur, dass wieder jede Menge Geld auf ihren Konto war. Ihr Vater gab ihr echt alles, wenn sie es wollte.
In einem Buch über Psychologie hatte ich mal gelesen, dass Kinder ihre Väter auf ein Podest stellen und als eine Art Gott ansahen. Bei Emma und ihren Vater war es genau anders herum. Vermutete ich zumindestens stark.
"Emma, es ist der zweite Schultag. Wir können doch nicht schwänzen?"
"Wieso nicht? Mein Dad hat uns entschuldigt." Das hieß so viel wie: Wir dürfen legal schwänzen.
Emma's Vater war ziemlich dicke mit dem Direktor, wieso das kein Problem war. Solange Emmas Noten akzeptabel blieben. Also so um den vierer Durchschnitt, dass reichte ihrem Vater! Wie gesagt. Emma ist seine Göttin. Emma braucht keine eins um perfekt zu sein.
"Mensch, Amelie! Lass uns Spaß haben! Wir sind jung! Wenn nicht jetzt, wann dann?" Irgendwo hatte sie ja Recht gehabt.
An diesem Tag sind wir tatsächlich losgezogen. Emma hatte mich sofort 7:23Uhr mit RedBull zugepumpt, und mich ins nächste Einkaufszentrum gezogen. Dort hatte mich der Schlag getroffen.
"Vio." Emma fiel Vioel um den Hals.
"Hey Dave."
"Amelie, darf ich vorstellen: David. Und Vio kennst du ja selbst."
"Hey Vio. Hey David."
"Du darfst mich ruhig Dave nennen."
"Na dann, Vio. Was willst du jetzt mit uns machen?" Ich sah Emma entsetzt an. WAS!?
"Ich dachte du willst ne Party feiern." Emma zuckte die Schultern, als sie meinen Ihr-seid-doch-nicht-etwa-zusammen-!-?-Blick bemerkte.
Eigentlich wollte ich jetzt etwas wütend auf sie sein, aber ich wusste genau, dass sie es war, die David organisiert hatte. Und, na ja, er war genau mein Geschmack.
UNd so war es letztendlich ein guter Tag. Emma hing zwar viel mit Vioel zusammen, aber so hatten David und ich unsere Ruhe und wenn uns mal der Gesprächsstoff ausging und diese unangenehme Stille einkehrte war Emma da und brachte uns neuen Stoff.
Nachdem wir um acht mit einkaufen angefangen hatten waren wir circa 17Uhr fertig. Mit Essenspausen. Wir würden zwar eh nochmal losmüssen wegen Obst und Gemüse, aber das meiste Zeug hatten wir jetzt.
"Ich hab übrigens sturmfrei.", gestand Vio. Ich bekann zu suchen. Gleich würde das freche Lächeln kommen, auf das alle abfuhren. Gleiche. Jede Sekunde. Nur noch ein Moment. Ein Augenblick. Sofort. Jetzt.
Doch es kam nicht. Er lächelte nur geradezu bübchenhaft Emma an und nein. Nein, dass konnte nicht sein. Die zwei waren nicht wirklich verliebt. Ich mein klar, sie standen aufeinander, aber nein. Nein, dass durfte nicht sein. Elena. Dann erinnerte ich mich an gestern.
"Oh ja! Lagerfeuer bei Vio.", schwärmte Emma.
Ich hatte damals wirklich keine Ahnung gehabt. Ich habe es damals wirklich nicht gemerkt.
Sie war nicht von Aliens entführt worden. Sie hatte einen anderen Grund gefunden.

Samstag, 4. August 2012

#5




Nach der Schule trafen Elena und ich uns.
So war es immer am ersten Schultag. Schon seit der Grundschule.
"Emma geht dieses Schuljahr ja übelst ab!"
"Ich weiß auch nicht, was mit ihr los ist. Die Jungs haben keinen Plan wie der Stundenplan ist, weil sie alle nur Emma in den Ausschnitt geklotzt haben. Sie tut mir echt Leid."
"Amelie!? Alles klar bei dir!? Sie hat doch das Kleid freiwillig angezogen. Sie will das doch."
"Ja, aber trotzdem! Seit den Ferien ist sie irgendwie anders."
"Anders? Sie dreht durch! Hast du das heute mit Vioel mitbekommen!?" Und ob.
"Das war so scheiße von ihr! Sie weiß das ich was von ihm will!" Ja, der typische Konflikt, der mich immer zwischen den beiden hin und her riss. Und ich wusste nicht, wie ich ihn lösen sollte.
Die Fakten waren nun mal:
1. Ich kannte Elena schon seit der 1. Klasse und seit dem waren wir beste Freundinnen.
2. Emma kenne ich seit der 5. Klasse
3. Inzwischen war ich besser mit Emma befreundet, weil sie in meine Klasse ging und Elena in meine Parallelklasse
4. Emma war die ganze Zeit in ihn, sagte es aber nicht, weil ... na ja, weil sie nun mal so war
5. Elena fand ihn zwar schon immer süß, wollte aber erst seit diesen Sommerferien was von ihm
Das machte die ganze Sache ziemlich kompliziert, aber letztendlich war ich damals auf Emmas Seite. Wieso weiß ich auch nicht genau. Wahrscheinlich, weil es mir wehtat zu sehen, wie sie alles was Vioel betraf immer in sich reinfraß.
"Das war schon blöd von ihr, aber nimm ihr das nicht so übel. Sie hat sogar Dussel-Danny ne Einladung gegeben und ihm zugezwinkert."
"Dussel-Danny!? Warte mal... bist du sicher, dass das Emma ist?" Ich schuppte sie lachend und sie torkelte ebenfalls lachend neben mir her die Straße hoch zu ihrem Haus.
"Lach nicht! Ich hab schon immer gesagt, dass es Aliens gibt!"
"Du meinst, sie wurde entführt?"
"NEIN! Sie ist einer."
Wir rätselten den ganzen Weg bis zu Elena, was mit Emma passiert sein könnte. Als wir bei ihr ankamen blieb sie vor der Tür stehe und sah mich ernst an.
"Amy, jetzt mal im echt...."
"Amelie, ja? Wir sind nicht mehr in der Grundschule."
"Okay, Amelie. Ich bin wirklich ziemlich sauer auf sie. Sie hat total den Kontakt mit mir abgebrochen diese Ferien. Hat ihre Handynummer geändert und mir nicht die neue gegeben und auch sonst ignoriert sie mich komplett, sogar wenn ich in den Ferien mal spontan zu ihr gegangen bin hat sie nicht aufgemacht, Anrufe nicht angenommen, auf SMS nicht geantwortet."
"Warum hast du mir das nicht erzählt?"
"Ich weiß nicht. Ich will inzwischen einfach auch nichts mehr mit ihr zu tun haben."
"Aber ihr seid doch auch total gute Freunde!"
"Wir waren. Ich kenne sie nicht mehr, Amelie."
"Quatsch, wieso sollte sie so etwas machen?" Wieso schmeißt sie diese Party, zieht sich so nuttig an, macht sich plötzlich an Vioel ran?
"Hast du vielleicht irgendwas gemacht, was sie total wütend gemacht haben könnte?"
"Amelie, ich habe mir die ganzen Ferien den Kopf darüber zerbrochen. Aber wie gesagt, es ist inzwischen egal. Ich hab mir eingebildet sie zu kennen und hab jetzt gemerkt, was ich mir da bei ihr vorgemacht hab."
Das war der Moment, in dem mir die Frage das erste Mal kam:
Kenne ich Emma?


#4




 "Emma!", grölten die meisten schon von weitem. Sie lächelte und sie grölten noch mehr.
"Vioel." Sie stand direkt vorm "Boss" dieser Jungsgruppe. Vioel.
 Mir war klar, dass sie was von ihm wollte und sie war damit natürlich nicht die einzige. Dieser Typ war ein einziges Bad-Boy-Phänomen, weshalb ich ihn auch nicht besonders mochte. Natürlich war er ziemlich hübsch mit den schwarzen Haaren und den dunklen Augen und spätestens bei dem frechen Lächeln schmolzen die meisten dahin, aber für mich war sowas noch nie was gewesen. Erhlich gesagt war mir sogar Dussel-Danny lieber, als solche Typen.
Das Problem ist, dass genau das die Typen sind, die alles können und haben. Sport, Komedie, Kunst, Schule und Geld, Freunde ohne Ende und, und, und.
"Emelie." Er verbeugte sich spöttisch vor ihr, nahm ihre Hand und küsste sie. Natürlich lachten alle, bis einer von Emma's tötenden Blicken getroffen wurde.
"Nun, so viel Höflichkeit ist man von dir ja gar nicht gewohnt, Vioel."
"Nun, nur weil du meine Höflichkeit nicht oft genießt heißt es ja nicht, dass ich sie nicht oft verwende, Emilie." Emma schüttelte lächelnd den Kopf und sah ihn grinsend an. Erst jetzt viel mir auf, wie still es eigentlich war und wie aufmerksam alle diesen stillen Wettstreit folgten.
"Was ist, Emilie?"
"Oh, es ist nur deine Frisur. Sie gefällt mir ziemlich gut. Mein Opa hat auch so eine." Nun prustete sie los und die Menge unterstüzte sie.
"Wusstest du, dass Männer oft solche Hasskomplimente benutzen, um Frauen aufzureißen?"
"Du bist eine Frau!?" In solchen Momenten wird mir oft klar, warum die Coolen die Coolen sind. Sie haben einfach mehr Selbstbewusstsein.
"Tja, Emilie. Du hast recht. In unserer Beziehung habe ich das Sagen." Sie trat jetzt näher an ihn heran und blickte spöttisch zu ihm auf.
"Eigentlich wollte ich dir sagen, dass du und deine Jungs zu meiner Party kommen, aber wie's aussieht entscheidest du das jetzt."
"So sieht es wohl aus, geliebte Emilie." Inzwischen wurde es wieder lauter um uns herum, als die Masse merkte, dass nun nichts wirklich unterhaltendes folgen würde.
Emma beugte sich an sein Ohr und flüsterte etwas. Nun langweilte es fast jeden und es kam wieder Krach auf, sodass ich nicht verstehen konnte, was Emma sagte. Ich sah nur Vioels Reaktion darauf, nämlich das freche Lächeln. Ich hatte erwartet, dass Emma nun noch heftig rumflirten würde, aber sie drehte sich ruckartig von ihm weg und ging. Im Laufen nahm sie mich am Arm und zerrte mich mit.
"Hey, Emilie!" Sie blieb stehen, drehte sich aber nicht um.
"Du siehst ultrascharf aus in dem Kleid.Wie viel kostest du pro Stunde?"
"Du brauchst ne Stunde bis du kommst?", schrie sie ihm zu, lächelte und ging weiter.
"Emma?"
"Ja?"
"Ihr seid unmöglich!"

Donnerstag, 2. August 2012

#3



 Emma hatte schön öfters Partys geschmissen. Meistens waren es Grillabende im Sommer, mit 10-15 Leuten. Nichts großes eben. Aber sie plante eine Party mit allen, die wollten. Natürlich wollten auch alle. Wir rechneten mit über 100 Leuten! Als erstes verteilte sie die Karte an die Jungs. Sogar den Losern gab sie eine Einladung.
 "Emma!? Alles klar bei dir?"
 "Klar, wieso nicht?"
 "Du gibst sogar Danny eine Einladung. Dussel-Danny."
 "Und? Wenn er kommen will."
 "Sag mal bist du totsterbenskrank und willst nochmal dein Gewissen reinigen!?" Ich hätte es damals bemerken müssen. Das Zucken, dass durch ihren Körper ging. Das Flackern in ihren Augen. Aber ich sah es nicht. Ich sah gar nichts. Nur eine völlig wahnsinnig gewordene Emma, die Aufmerksamkeit brauchte. Die übertrieb und jetzt unbedingt allen zeigen musste, wie cool sie ist.
Ja, ich war zu dem Zeitpunkt ziemlich eifersüchtig auf sie. Eifersüchtig und genervt. Den ganzen Tag redete sie nur von sich und war damit beschäftigt die Party zu planen.
Ich kam mir einsam vor. Den ganzen Tag hätte ich auch allein rumlaufen können. Allein zum Klassenraum, allein Bücher aholen, allein an's Schließfach, allein in AG's einschreiben, allein essen.
Allein.
Ich war schon immer neben ihr untergegangen.
Wenn ich ein Schwan gewesen wäre, wäre sie der Pfau gewesen. Ich war nicht hässlich, aber ich stand immer in Emma's Schatten.
Selbst nach ihrem Tod.
 Es war einfach ihre Ausstrahlung. Und die sahen alle. Die Jungs gafften, vorallem an diesem ersten Schultag, wo sie ihr rotes Kleid trug. Und sie blühte auf.
Es schien, als blühte sie auf.
Wir steuerten auf eine Gruppe Jungs zu, die eine Klassenstufe höher waren als wir.
 Es war schon ein paar mal vorgekommen, dass wir was mit ihnen zu tun hatten. Oder besser gesagt, dass Emma etwas mit ihnen zu tun hatte. Aber es waren nur ein paar Anmachsprüche seitens der Jungs gewesen und Emma hatte sie immer ignoriert.
 Sie hatte alle ignoriert. Ignoriert und provoziert.
Sogar manipuliert, wie sich am Ende rausstellte.
 Letztendlich weiß ich bis heute nicht, ob ich sie lieben oder hassen soll. Ich müsste sie hassen, nachdem ich erfuhr, was sie uns allen angetan hatte. Doch ich wusste, wieso sie es tat.
 Vielleicht war das, das schlimmste daran. Dass ich sie verstand.
 Ich weiß nicht, wie viel dieser Gedanken auch meine sind und wie viel sie mir in den Kopf gelegt hat. Doch letztendlich wird sie immer meine Elfen-Emma bleiben. Mein kleines Emmalein, was ein tiefreines Herz hat. Das ist mein Glauben, auch wenn es nur eine Lüge ist.